Die wiedergefundene Einheit

Es muß jedem, der das Neue Testament auch nur oberflächlich
liest, auffallen, daß hier diese Welt der Entzweiung,
des Konfliktes, der ethischen Problematik wie versunken ist.
Nicht der Zerfall des Menschen mit Gott, mit den Menschen,
mit den Dingen, mit sich, sondern die wiedergefundene Einheit,
die Versöhnung ist der Grund, von dem aus gesprochen
wird. Das Leben und Handeln der Menschen hat nichts Problematisches,
Gequältes, Finsteres, sondern etwas Selbstverständliches,
Freudiges, Gewisses, Klares. Es ist die Begegnung Jesu mit
den Pharisäern, in der das Alte und das Neue ins hellste Licht
treten. Das rechte Verständnis dieser Begegnung ist von großer
Bedeutung für das Verständnis des Evangeliums überhaupt.
Es handelt sich beiden Pharisäern nicht um eine zufällige historische
Zeiterscheinung, sondern es handelt sich um den Menschen,
den in seinem ganzen Leben nur das Wissen um Gut
und Böse wichtig geworden ist. Jedes Zerrbild der Pharisäer
nimmt der Auseinandersetzung Jesu mit ihnen seinen Ernst und
seine Wichtigkeit. Der Pharisäer ist jener in höchsten Maße
bewunderungswürdige Mensch, der sein ganzes Leben unter
sein Wissen um Gut und Böse stellt, der ein ebenso harter
Richter seiner selbst wie seines Nächsten ist – zur Ehre Gottes
dem er dieses Wissen demütig dankt.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ethik
, DBW Band 6, Seite 311f

Gedanken zum 12. Oktober

Leben und Werk

Bonhoeffer heute

Forschung

ibg