Die Pharisäer

Dem Pharisäer wird jeder Lebensaugenblick zur Konfliktsituation,
in der zwischen Gutem und Bösen zu wählen
hat. Um sich nicht zu verfehlen ist sein ganzes Denken angestrengt
bei Tag und Nacht darauf gerichtet, die unübersehbare
Fülle möglicher Konflikte im voraus zu durchdenken, zur Entscheidung
zu bringen und die eigene Wahl festzulegen. Das
Leben in seiner ganzen Mannigfaltigkeit wird durchaus in die
Berechnung mit einbezogen, besondere Situationen und Notlagen
erfahren besondere Berücksichtigung. … Diese Männer
mit dem unbestechliche sachlichen und mißtrauischen Blick
können keinen Menschen anders gegenübertreten, als indem
sie ihn auf seine Entscheidungen in den Lebenskonflikten hin
prüfen. So müssen sie – sie können nicht anders – auch Jesus
gegenüber den Versuch machen, ihn in den Konflikt, in die
Entzweiung hineinzutreiben, um zu sehen, wie er sich darin
bewährt. … Das Entscheidende an allen diesen Auseinandersetzungen
besteht nun darin, daß Jesus sich in keine einzige
dieser Konfliktsentscheidungen hineinziehen läßt. Mit jeder
seiner Antworten läßt er den Konfliktsfall einfach unter sich.
Die Pharisäer und Jesus sprechen von völlig verschiedenen
Ebenen. Darum gehen ihre Worte so seltsam aneinander vorbei,
darum erscheinen die Antworten Jesu garnicht als Antworten,
sondern als eigene Angriffe gegen die Pharisäer, die sie
auch in der Tat sind.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ethik
, DBW Band 6, Seite 312 f

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