Menschenwort und Gottes Wort

Christliche Religion steht und fällt mit dem Glauben an die
in der Geschichte wirklich, greifbar, sehbar gewordene –
freilich für die, die Augen haben zu sehen und Ohren haben zu
hören – göttliche Offenbarung, und trägt so in ihrem innersten
Wesen die Frage: nach dem Verhältnis von Geschichte und
Geist oder, auf die Bibel angewandt, von Buchstabe und Geist,
Schrift und Offenbarung, Menschenwort und Gotteswort. …
Man kann es keinem verwehren, die Bibel als ein Buch unter
anderen zu betrachten, ja wir müssen es alle tun, denn es waren
Menschen wie andere, die es schrieben. Aber ausschließlich
mit diesen Voraussetzungen tritt der Historiker an die Bibel
heran, das eine Buch unter anderen, das freilich eine merkwürdig
viel größere Bedeutung gewann als die anderen. Eine Geschichte
der christlichen Religion von annährend 2000 Jahren
ruht auf ihm als Grundlage, also ohne Zweifel ein Dokument
unter anderen, aber von hervorragender historischer Bedeutsamkeit.
Kein Wunder, daß hier die historische Kritik ihren
ersten und bleibenden Gegenstand fand, daß sie hier ihre
Waffen schärfen lernte bis ins feinste hinein.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Jugend und Studium 1918-1927
, DBW Band 9, Seite 305 f

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