Religiöse Einkleidungen

Meine in der letzten Zeit doch stark auf dem weltlichen
Sektor liegende Tätigkeit gibt immer wieder zu denken.
Ich wundere mich, daß ich tagelang ohne die Bibel lebe und
leben kann – ich würde es dann nicht als Gehorsam, sondern
als Autosuggestion empfinden, wenn ich mich dazu zwingen
würde. Ich verstehe, daß solche Autosuggestion eine große
Hilfe sein könnte und ist, aber ich fürchte auf diese Weise eine
echte Erfahrung zu verfälschen und letzten Endes doch nicht
die echte Hilfe zu erfahren. Wenn ich dann wieder die Bibel
aufschlage ist sie mir neu und beglückend wie nie. Ich weiß,
daß ich nur meine eigenen Bücher aufzuschlagen brauche, um
zu hören, was ich gegen dies alles sagen läßt. Ich will mich auch
nicht rechtfertigen, sondern ich erkenne, daß ich »geistlich«
viel reichere Zeiten gehabt habe. Aber ich spüre, wie in mir
der Widerstand gegen alles »Religiöse« wächst. Oft zu einem
instinktiven Abscheu – was sicher auch nicht gut ist. Ich bin
keine religiöse Natur. Aber an Gott, an Christus muß ich
immerfort denken, an Echtheit, an Leben, an Freiheit und
Barmherzigkeit liegt mir sehr viel. Nur sind mir die religiösen
Einkleidungen so unbehaglich.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Konspiration und Haft 1940-1945
, DBW Band 16, Seite 325

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