Die Spiegelschrift Gottes

Es ist ein überraschendes Bild, wenn das Alter des Kindes
mit dem Stückwerk des Erkennens und wenn das reife
Mannesalter mit der Vollkommenheit der Liebe verglichen
wird (1 Korinther 13, 11 f). Erkennen ohne Liebe ist kindisch, kindischer
Anschlag, kindischer Versuch, … – der Stolz des Erkennens
ohne Liebe ist wie Prahlerei eines dummen Jungen, über
die der reife Mann nur lächelt. … Paulus sagt: die Liebe ist die
Sache der reifen Einsicht, der wahren Erkenntnis, des Mannesalters.
Das grenzt wohl diese Liebe deutlich von aller Schwärmerei
ab, von aller Weichlichkeit und Sentimentalität ab –
Liebe heißt Wahrheit vor Gott, heißt vollkommene Erkenntnis
vor Gott.
Und noch ein zweites Bild: »Wir sehen jetzt durch einen
Spiegel …«
Gottes Gedanken sind in der Welt nur wie im Spiegel aufgefangen.
Wir sehen sie nur in der Spiegelschrift. Und die Spiegelschrift
Gottes ist schwer zu lesen. Sie heißt ja wohl, daß Großes
klein und Kleines Großes, Rechtes verkehrt und Verkehrtes
recht ist, das Hoffnungsloses Verheißung und Hoffnungsvolles
das Gericht erwartet, sie heißt ja wohl, das Kreuz Sieg und Tod
Leben bedeutet. Wir lesen die Spiegelschrift Gottes in Jesus
Christus, in seinem Leben und Reden und Sterben.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
London 1933-1935
, DBW Band 13, Seite 397

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