Die Krankheit gehört in besonderer Weise zu Gott

In der Bibel begegnet uns ein seltsames Wort: »Und er
suchte auch in seiner Krankheit den Herrn nicht, sondern
die Ärzte« (2 Chronik 16, 12). Es handelt sich dort um einen frommen
Mann, den die Bibel sonst hohes Lob zollt für seinen Eifer
um die Sache Gottes. Aber dieser Mann dachte bei aller Frömmigkeit
darin sehr modern, daß er streng unterschied zwischen
den Dingen der Religion, in denen man sich an Gott wendet,
und den irdischen Dingen, in denen man sich bei irdischen
Stellen Hilfe holt. Krankheiten, besonders leibliche Krankheiten
sind irdische Angelegenheiten mit irdischen Ursachen und
irdischen Heilmitteln. Krankheiten gehören also vor den Arzt,
aber nicht vor Gott. Das ist ganz vernünftig und vielleicht auch
ganz religiös gedacht. Aber es ist falsch. Gewiß haben Krankheiten
ihre irdischen Ursachen und irdischen Heilmittel; aber
damit ist eben bei weitem nicht alles und nicht das Entscheidende
über das Wesen der Krankheit gesagt. Gewiß soll der
Kranke zum Arzt gehen und dort Hilfe suchen. Aber das
Wichtigste ist damit allein nicht getan und nicht erkannt.
Hinter den irdischen Ursachen und Heilmitteln stehen die
überirdischen Ursachen und die überirdischen Heilmittel der
Krankheit. Solange man daran vorbeigeht, lebt man in Wahrheit
an seiner eigenen Krankheit vorbei, bekommt man ihr
Wesen garnicht zu Gesicht. Ihr Fluch und ihr Segen bleiben
unerkannt.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Konspiration und Haft 1940-1945
, DBW Band 16, Seite 502

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