Ich bin ein Gast auf Erden

Ich bin ein Gast auf Erden (Psalm 119, 19a) – damit bekenne
ich, daß ich hier nicht bleiben kann, daß meine Zeit kurz
bemessen ist. Auch habe ich hier kein Anrecht auf Besitz und
Haus. Alles Gute, das mir widerfährt, muß ich dankbar empfangen,
Unrecht und Gewalttat aber muß ich leiden, ohne daß einer
für mich eintritt. Einen festen Halt habe ich weder an
Menschen noch an Dingen. Als Gast bin ich den Gesetzen
meiner Herberge unterworfen. Die Erde, die mich ernährt, hat
ein Recht auf meine Arbeit und meine Kraft. Es kommt mir
nicht zu, die Erde, auf der ich mein Leben habe, zu verachten.
Treue und Dank bin ich ihr schuldig. Ich darf meinem Los, ein
Gast und Fremdling sein zu müssen, und damit dem Ruf Gottes
in diese Fremdlingschaft nicht dadurch ausweiche, daß ich
mein irdisches Leben in Gedanken an den Himmel verträume.
Es gibt ein sehr gottloses Heimweh nach der anderen Welt,
dem gewiß keine Heimkehr beschieden ist. … Weil ich aber auf
Erden nichts bin als ein Gast, ohne Recht, ohne Halt, ohne
Sicherheit, weil Gott selbst mich so schwach und gering macht,
darum hat er mir ein einziges festes Unterpfand für mein Ziel
gegeben, sein Wort. Dieses einzig Gewisse wird er mir nicht
entziehen, dieses Wort wird er mir halten und an ihm wird er
mich seine Kraft spüren lassen. Wo das Wort von zu Haus bei
mir ist, finde ich in der Fremde meinen Weg, im Unrecht mein
Recht, in der Ungewißheit meinen Halt, in der Arbeit meine
Kraft, im Leiden die Geduld.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937-1940
, DBW Band 15, Seite 529 f

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