Im Wechsel der Zeiten

Die tiefe Verwurzelung in dem Boden der Vergangenheit
macht das Leben schwerer, aber auch reicher und kraftvoller.
Es gibt menschliche Grundwahrheiten, zu denen das
Leben früher oder später immer wieder zurückkehrt. Darum
dürfen wir keine Eile haben, wir müssen warten können.
Gott sucht wieder auf, was vergangen ist, heißt es in der Bibel
(Prediger Salomo 3, 15). …
Wir sind aufgewachsen in der Erfahrung unserer Eltern und
Großeltern, der Mensch könne und müsse sein Leben selbst
planen, aufbauen und gestalten, es gebe ein Lebenswerk, zu
dem der Mensch sich zu entschließen und das er dann mit
ganzer Kraft auszuführen habe. Es ist aber unsere Erfahrung
geworden, dass wir nicht einmal für den kommenden Tag zu
planen vermögen, daß das Aufgebaute über Nacht zerstört wird
und unser Leben im Unterschied zu unseren Eltern gestaltlos
oder doch fragmentarisch geworden ist. … Wir haben zu stark
in Gedanken gelebt und gemeint, es sei möglich, jede Tat
vorher durch das Bedenken aller Möglichkeiten so zu sichern,
daß sie dann ganz von selbst geschieht. Erst zu spät haben wir
gelernt, daß nicht der Gedanke, sondern die Verantwortungsbereitschaft
der Ursprung der Tat sei. …
Unser Christ sein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten
und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles denken,
reden und organisieren in den Dingen des Christentums muß
neu geboren werden aus diesem Beten und diesem Tun.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Widerstand und Ergebung
, DBW Band 8, Seite 429 f, 432 f, 435

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