An der Grenze der Zeit

Der Ernst der Welt ist der Tod. Der Ernst fängt dort an, wo
die Welt aufhört, stirbt, wo der Welt die Grenze gesetzt
ist, der Ernst fängt dort an, wo unser Leben aufhört, wo wir
nicht mehr sind, an der Grenze der Zeit. Der Unernst der Welt
ist der Augenblich, das Vorletzte, die Lust der Welt, wie Johannes
sagt (1 Johannes 2, 17). Es liegt nun beim Menschen, ob er ernst
oder unernst in der Welt leben will; ob er beim Vorletzten verharren
oder zum Letzten durchdringen will, ob er die Lust der
Welt als Letztes ansieht, oder die Vergänglichkeit dieser Lust.
Mit alttestamentlicher Kraft verkündet uns das Wort ein
Memento mori: Gedenke daran, daß einmal alles zu Ende geht,
daß es einmal heißt: nun mach deine Rechnung über dein
Leben. Und daß dann der Augenblick des Sterbens über dich
kommt mit der Gewißheit, daß die Welt eine Welt des Todes
ist und daß der Gewalt der Zeit nichts standhalten kann, wenn
nicht das eine – die Ewigkeit, daß es aus ist mit dir und mit
mir. … Laßt uns an die Grenzen der Welt, der Zeit denken, –
und es wird ein Wunderbares geschehen. Die Augen werden
uns aufgetan dafür, daß die Grenze der Welt, das Ende der
Welt – der Anfang eines Neuen ist, der Ewigkeit. Hier verliert
die Zeit ihre Gewalt an die Ewigkeit, das Letzte in der Welt,
der Tod, wird zu einem Vorletzten.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Barcelona, Berlin, Amerika 1928-1931
, DBW Band 10, Seite 501f

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