Tod und Leben auf einer Linie

Trachtet nach dem, was droben ist, da Christus sitzet zur
Rechten Gottes, denn euer Leben ist verborgen mit
Christus in Gott (Kolosser 3, 2 f). Und wie wir uns eifrig mit allem
gesunden Menschenverstand herzudrängen und vielleicht auch
mit sehr viel menschlicher Weisheit, um zu ergründen, was
denn dies »verborgen mit Christus in Gott« heißen könnte –
da steht wie ein Cherub mit blitzendem Schwert jenes andere
Wort mitten im Text: »Ihr seid gestorben«. Das ist das Unheimliche,
daß, wo vom lebendigen Gott die Rede ist, immer
dies Sterben dazwischen steht. …
Tod und Leben so auf einer Linie, und zwar auf der Todeslinie
zu sehen, das vermöchte man nur, wenn man mit Gottes eigenen
Augen zu schauen vermöchte. Denn für uns Menschen
sind die Unterschiede zwischen Tod und Leben ungeheuer
groß – für Gott fallen sie in eins zusammen. Für Gott ist der
Mensch nicht mehr und nicht weniger, nicht ferner und nicht
näher, ob er lebt oder stirbt. Aber eben: soll in menschlichen
Worten und für menschliches Verständnis darüber geredet werden,
wie es denn nun um den Menschen steht, ob er lebt oder
stirbt, ob wohl in Gottes Augen auch das menschliche Sterben
wie ein Weiterleben ist – dann mahnt uns unser Text mit aller
Bestimmtheit, gerade das Gegenteil zu bedenken.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ökumene, Universität, Pfarramt 1931-1932
, DBW Band 11, Seite 448 f

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