Auf den schwachen Schultern eines Kindes

Und die Herrschaft ist auf seiner Schulter«. Auf den schwachen
Schultern dieses neugeborenen Kindes soll die
Herrschaft über die Welt liegen! Eines wissen wir: Diese
Schultern werden jedenfalls die ganze Last der Welt zu tragen
bekommen. Mit dem Kreuz wird alle Sünde und Not dieser
Welt auf diese Schultern geladen werden. Die Herrschaft aber
wird darin bestehen, daß der Träger unter der Last nicht zusammenbricht,
sondern sie ans Ziel bringt. Die Herrschaft, die
auf den Schultern des Kindes in der Krippe liegt, besteht im
geduldigen Tragen der Menschen und ihrer Schuld. Dieses
Tragen aber fängt in der Krippe an, fängt dort an, wo das ewige
Wort Gottes das menschliche Fleisch annahm und trug. Gerade
in der Niedrigkeit und Schwachheit des Kindes nimmt die
Herrschaft über alle Welt ihren Anfang. Als Zeichen der
Herrschaft über das Haus pflegte man dem Hausherrn die
Schlüssel über die Schulter zu hängen. Das bedeutete, daß er
die Macht hat, auf- und zuzuschließen, einzulassen und abzuweisen,
wen er will. Das ist auch die Weise der Herrschaft
dessen, der das Kreuz auf seinen Schultern trug. Er schließt
auf, indem er Sünde vergibt, und er schließt zu, indem er den
Stolzen verstößt. Das ist die Herrschaft dieses Kindes, daß es die
Demütigen, Geringen, die Sünder annimmt und trägt, daß es
aber die Stolzen, Hoffärtigen, die Gerechten zunichte macht
und verwirft (Lukas 1, 51 f).

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Konspiration und Haft 1940-1945
, DBW Band 16, Seite 635

Leben und Werk

Bonhoeffer heute

Forschung

ibg