Gott kann warten

Der Mensch ist der Verlierer, Gott der Gewinner, Gott läßt
den Menschen starten, er läßt ihn Fortschritte machen,
Erfolg haben, und scheint selbst völlig passiv, seine Gegenzüge
scheinen recht unbedeutend, selten merken wir sie überhaupt.
So schreiten wir vorwärts, stolz und selbstbewusst und gewiß
unseres Erfolges und endlichen Sieges. Aber Gott kann warten,
er wartet manchmal Jahre um Jahre. … Gott wartet in der
Hoffnung, daß der Mensch endlich seine Züge verstehen und
sein Leben ihm ausliefern möchte. Aber einmal in jedem
Leben – und das mag vielleicht erst in der Stunde des Todes
sein – kreuzt Gott seinen Weg, so daß der Mensch keinen
Schritt mehr tun kann, daß er anhalten muß und in Furcht
und Zittern Gottes Macht und seine eigene Schwäche und sein
Elend erkennen muß. … Nur in diesen großen Augenblicken
unseres Lebens verstehen wir die Bedeutung von Gottes Führung
in unserem Leben, verstehen wir Gottes Geduld und
Gottes Zorn, und erst jetzt erkennen wir, daß diese Stunden,
in denen Gott unseren Weg gekreuzt hat, die einzigen Stunden
von wirklicher Bedeutung in unserem Leben sind. Nur sie
machen unser Leben lebenswert.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
London 1933-1935
, DBW Band 13, Seite 514 f

Gedanken zum 28. Dezember

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