Die Stadtakademie an der Neustädter Hof- und Stadtkirche Hannover lud zu einem Vortrag über Dietrich Bonhoeffer ein:
"Die Ermordung von Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg am 9. April 1945 – vier Wochen vor Kriegsende und vor der Befreiung des Lagers – war eine der letzten Untaten des NS-Regimes. Die Verantwortlichen sind nach lächerlich niedrigen Bestrafungen ins bürgerliche Leben zurückgekehrt. Der Vortrag gibt Einblicke in Bonhoeffers Gefängniszeit. In einem zweiten Teil des Vortrags wird die Straflosigkeit der Täter dokumentiert." (Text: Stadtakademie)
Vortrag: Prof. Dr. Christoph U. Schminck-Gustavus, Bremen
Termin: Mittwoch, 2. November, 19.00 Uhr
Ibg-Vorstandsmitglied, Dipl.- Phys. Wilfried Schulz, besuchte die Veranstaltung.
Lesen Sie im Folgenden seinen Bericht:
Frau Pastorin Martina Trauschke von der Theologischen Studienabteilung der Stadtakademie an der Neustädter Hof- & Stadtkirche St. Johannis in Hannover begrüßte am 2. November 2022 im Leibnizsaal den eingeladenen Referenten, den emeritierten Professor für Rechts- und Sozialgeschichte an der Universität Bremen, Prof. Dr. Christoph U. Schminck-Gustavus.
Hier stellte er sein 2020 im Donat-Verlag Bremen erschienenes umfangreiches Buch mit dem Titel "Der Tod auf steilem Berge: Die 'Standgerichtsprozesse' gegen Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi und die Freisprechung der Mörder" (384 Seiten, ISBN-13: 978-3943425949) vor.
Bei seinem längeren Aufenthalt in Italien in den 90er Jahren zur Erforschung von Verbrechen während der deutschen Besatzung in Italien bis 1944 wurde er von Italienern gebeten unbedingt mal etwas über Dietrich Bonhoeffer aufzuschreiben und zu veröffentlichen.
Diesem Wunsch kam Prof. Dr. Schminck-Gustavus nach und schrieb ein Büchlein über die Ermordung von Dietrich Bonhoeffer. Er hatte zuvor sich nicht mit dem Pastor und Theologen Dietrich Bonhoeffer als Professor für Rechts- und Sozialgeschichte befasst gehabt. Dieses Taschenbuch hatte den Titel "Der 'Prozeß' gegen Dietrich Bonhoeffer und die Freilassung seiner Mörder". Es erschien zunächst in Italienisch und wurde dann 1995 vom Dietz-Verlag Bonn auch in deutscher Übersetzung verlegt.
Dieses Taschenbuch erfuhr in der deutschen Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit, da hier erstmals über die Hinrichtung im KZ Flossenbürg und die beteiligten SS-Henker und Ihrem persönlichen Werdegang bis zu deren Freispruch durch den Bundesgerichtshof am 19. Juni 1956 berichtet wurde. Dies fiel mit dem offiziellen Gedenken zum 50. Todestag Dietrich Bonhoeffers am 9. April 1995 im KZ Flossenbürg zusammen, bei dem die Justizministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger den verhinderten Bundespräsidenten Roman Herzog als Vertreter von der Bundesregierung anwesend und erstmals bewusst geworden war, das zum damaligen Zeitpunkt Dietrich Bonhoeffer rechtskräftig juristisch in der BRD zum Tode verurteilt war. Laut Bericht in der Tagesschau wollte sie sich nach ihrer Rückkehr in Berlin für die juristische Rehabilitierung aller am 9. April 1945 Hingerichteten im Bundestag einsetzen.
Dies führte 1996 in Folge zur Beantragung und Erreichung der juristischen Rehabilitierung Dietrich Bonhoeffers durch Prof. Karl-Heinz Lehmann von der Evangelischen Fachhochschule Hochschule Hannover und führte am 1. August 1996 auf Antrag der Staatsanwaltschaft I zur juristischen Rehabilitierung von
Pastor Dietrich Bonhoeffer,
Admiral Wilhelm Canaris,
Hauptmann Ludwig Gehre,
Generalmajor Hans Oster und
Heeresrichter Dr. Karl Sack
durch das Landgericht Berlin.
Im Rahmen des Studiums der Akten 1994/1995 zu den Standgerichtsverfahren am 8. April 1945 im KZ Flossenbürg gegen Straftäter Huppenkothen und Thorbeck blieben die Akten des Schwurgerichtsverfahrens in München von 1951 und 1952 unberücksichtigt, da damals der Zugang von der Staatsanwaltschaft München verwehrt wurde.
Auf mehrfache Bitten des Bremer Verlegers Herrn Donat fand sich Prof. Dr. Schminck-Gustavus bereit, unter Einbeziehung der nun doch zugänglichen Akten des Schwurgerichts München im Bayerischen Staatsarchiv über Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi die über 2 Meter Aktenbestände durchzuarbeiten. In 4 Monaten wurden diese Akten gelesen und gesichtet und mit diesen neuen Erkenntnissen ein Buch geschrieben.
Dieses Buch gab der Autor den Titel – „Der Tod auf steilem Berge“ nach dem Gedicht von Dietrich Bonhoeffer – „Der Tod des Mose“, das er nach dem Fund der Zossener Akten 1944 im September 1944 im Gefängnis Tegel, Teilanstalt 1, schrieb, in Vorahnung seines nahen Lebensendes wandert des Dichters Blick – wie bei Mose – dankbar vom Gipfel des erklommenen steilen Berges hinunter auf die erfolgreichen Anstrengungen der Vergangenheit und deren Überwindung in den Niederungen seiner geliebten „Menschenzwerge“. Bonhoeffer schaut aber auch vertrauensvoll aufwärts, mit hoffender Erwartung des Kommenden und mit wachsenden Gottvertrauen und dem Wunsch, dass endlich auch die eigenen letzten Ängste weggewischt werden.
Der Lebensweg Bonhoeffers vor und nach seiner Verhaftung am 5. April 1943 wird beschrieben, das von Hans von Dohnanyi und Fabian von Schlabrendorff vorbereitete Attentat in Smolensk dargelegt, bei dem auch als Fahrer des Dienstwagens vom Vater Dietrich Bonhoeffers – Prof. Karl Bonhoeffer – Eberhard Bethge direkt beteiligt war, dem Freund und späteren Biographen Dietrich Bonhoeffers. Begebenheiten während der Haftzeit werden geschildert, die uns die jüngste Schwester Dietrich Bonhoeffers, Susanne Dreß in ihren Tagebüchern von den Besuchen im Gefängnis überliefert hat.
Das Ende der Hinrichtung von Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg und Hans von Dohnanyi im KZ Sachsenhausen bei Oranienburg und ihr enges Verhältnis im Kampf gegen Hitler und ihre briefliche Verbindung im Gefängnis werden beschrieben.
Die juristische uneingeschränkte Rechtsgültigkeit des NS-Normensystems wurde durch die Bundesregierung 1952 übernommen. Danach wurde auch in den 50er Jahren durch die Gerichte so verfahren, wodurch die Henker und mörderischen Ankläger Dietrich Bonhoeffers der SS-Sturmbannführer und Abteilungsleiter im Reichssicherheitshauptamt Walter Huppenkothen und SS-Sturmbannführer, Chefrichter beim SS- und Polizeigericht München, Dr. Otto Thorbeck durch das Urteil vom BGH vom 19. Juni 1956 aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden. Huppenkothen erhielt 6 Jahre Haft, da er die von den Verfahrensregeln für Standgerichte zwingend geforderte Bestätigung der Todesurteile durch den obersten Gerichtsherren (Hitler und/oder Kaltenbrunner) nicht eingeholt hatte. Die U-Haft wurde angerechnet. Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden Huppenkothen nicht aberkannt.
Leider wurden am Ende des Vortrages der genannte Sachverhalt und der Werdegang der Mörder Dietrich Bonhoeffers in der Bundesrepublik nach den Gerichtsverfahren nicht vorgetragen, die aber im gedruckten Buch nachgelesen werden können.
Ein bedeutender und wichtiger aktueller Vortrag zur Hinrichtung von Dietrich Bonhoeffer, Hans von Dohnanyi und Canaris und all die Anderen, über die in der Öffentlichkeit bisher wenig bekannt war und ist. Der Buchvorstellung wären weitere Termine und weitere Orte in Deutschland sehr wünschenswert.
Dipl.-Phys. Wilfried Schulz,
Internationale Bonhoeffergesellschaft Deutschsprachige Sektion e. V. – Vorstand – Medienbeauftragter
Berlin 13.11.2022