Gedanken zu Zitaten Bonhoeffers

Aktuelle Meldung vom: 21.06.2023

Die Worte Dietrich Bonhoeffers inspirieren seit Jahrzehnten zur kreativen, persönlichen  Auseinandersetzung mit ihnen.

Wir bieten Ihnen hier einen Plattform, auf der Sie Ihre Texte andere Bonhoeffer-Interessierten zugänglich machen können. In loser Folge werden wir Ihre Werke hier veröffentlichen und freuen uns über weitere Zusendungen an online-redaktion|bei|dietrich-bonhoeffer.net

Ein paar Gedanken zu folgendem Zitat:

Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.

Quelle: Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, Seite 31

von Dr. Christina Lange, Vorsitzende der AG-SChule

Wie lassen sich zwischen Dietrich Bonhoeffer und Schüler:innen Berührungspunkte schaffen?  Das kann z.B. über Begegnungen gelingen.  Diese bleiben leider im interreligiösen Religionsunterricht mit einer überwiegend säkularen Schüler:innenschaft in meistens flüchtig. Wenn den Jugendlichen bewusst wird, dass auch Bonhoeffer nur ein Mensch und kein „Säulenheiliger“ war, dass vieles aus seinem Werk und seinem Leben bewundernswert ist, dass aber auch er kein Mensch ohne Fehler war und über Fehler, Irrtümer und Unsicherheiten geschrieben und gesprochen hat, kann es zu Begegnungen kommen.

Gottes- und Menschenbilder – so lautet ein Themenbereich des Religionsunterrichtes für die Oberstufe (Sek II) an Bremer Schulen. Hier könnte dieser Gedanke Bonhoeffers gut verortet werden. Bewusst habe ich ein Zitat gewählt, in dem „Fehler und Irrtümer“ und nicht „Schuld“ angesprochen werden, weil ich glaube, dass die überwiegend säkulare Schüler:innenschaft mit diesen Begriffen zunächst mehr anfangen und sich da auch wiederfinden kann.  Das kann ein Ansatzpunkt sein, der dann im weiteren Unterrichtsverlauf theologisch zu füllen wäre, da Bonhoeffer menschliche Fehler in unmittelbaren Zusammenhang mit Gott stellt. Bonhoeffer zeichnet hier das Bild eines Gottes, der die Menschen in all ihrer Fehlerhaftigkeit, ja in ihrer Menschlichkeit so annimmt, wie sie eben sind.

 

Schreiben als Lebenselixier

von Felizitas Handschuch

Seine Familie war gewarnt worden, er hatte sich vorbereitet, so gut es ging. Gegen Mittag versuchte er, seine Schwester anzurufen. Eine unbekannte Männerstimme meldete sich.

Damit war klar: Jetzt ist es so weit.

Er ordnete die Papiere auf seinem Schreibtisch, versteckte ein wichtiges Dokument in der Holzverschalung des Dachzimmers, legte auf den Schreibtisch, was gefunden werden sollte.

Flucht kam nicht in Frage, die ganze Familie war gefährdet, nichts durfte wie ein Schuldeingeständnis aussehen.

Außerdem hatte er sich in seinem Leben bewusst anders entschieden und war aus dem sicheren Exil nach Deutschland zurückgekehrt.

Verantwortung zu übernehmen war ihm von Kindesbeinen an anerzogen worden.

Er musste nicht lange warten, schon am Nachmittag holten sie ihn ab.

Zwölf Tage und Nächte in einer eisigen Zelle mit einer stinkenden Decke und ohne jeden Kontakt trieben ihn an den Rand der Verzweiflung.

Die Angst vor Verhören, Verrat und Folter taten das Übrige, zum ersten Mal in seinem Leben wusste er nicht mehr weiter.

Er fror.

Die Welt war für ihn unsichtbar geworden.

Es stank.

Trockenes Brot wurde von außen in seine Zelle gekippt.

Er hörte die Schreie der Gefolterten, das Weinen der zum Tod Verurteilen, die Schüsse, die Flüche und Beleidigungen des Wachpersonals.

Er war der Schwachpunkt, die Schlüsselfigur.

Er wusste zu viel.

Viele Menschenleben hingen von seinen Aussagen ab.

Würde er dem Druck standhalten können?

Wäre es nicht besser, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen?

Mit Sehnsucht dachte er an seine junge Verlobte.

Nie im Leben würde er wissen, wie es ist zu lieben und geliebt zu werden.

Seine Gedanken rasten und kreisten und sprangen.

Er musste Ordnung bringen in das Chaos, er musste Klarheit schaffen, er musste eine Entscheidung treffen.

Er fror.

Es stank.

Die Decke.

Schließlich erhob er sich mühsam vom Rand der Pritsche, auf der er - seit wie vielen Tagen und Stunden eigentlich? - gekauert hatte, und hob die Decke an, um sie auszuschütteln, da rollte etwas aus der Decke auf den Boden - ein Bleistiftstummel, ein Fetzen Papier flatterte hinterher - eine Kostbarkeit, ein Geschenk des Himmels!

Nur Stichworte, mehr ist nicht drin, aber auch die transportieren Gefühle, Gedanken; niedergeschrieben werden Worte zum Fundament für Entscheidungen, Gefühle klären sich, Trittsteine im lebensgefährlichen Sumpf, Brücken zum Überleben.

Er notiert: "Unzufriedenheit" - "Gespanntheit" "Ungeduld" "Sehnsucht" "Langeweile" ...

"Selbstmord, nicht aus Schuldbewusstsein, sondern weil ich im Grunde schon tot bin, Schlussstrich, Fazit", dann endlich funktioniert sein analytisches Denken wieder, er beginnt zu philosophieren über Wahrnehmung und Gedächtnis und findet schließlich die Lösung: "Überwindung im Gebet".

Das Schreiben hat ihn aus der tiefsten Krise seines Lebens geführt.

Wie gut für uns, die Nachgeborenen. Dietrich Bonhoeffer hat noch zwei Lebensjahre vor sich.

In Haft, immer wieder bedroht und in Todesangst, aber mit der Möglichkeit zu schreiben.

Und was für Texte er schreibt!

Die Briefe an seinen Freund Eberhard Bethge werden nach seiner Hinrichtung und dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter dem Titel "Widerstand und Ergebung" veröffentlicht und zum Fundament der Theologie des 20. Jahrhunderts.

Seine Liebesbriefe an seine Braut Maria von Wedemeyer und ihre Antwortbriefe beglücken im Buch "Brautbriefe Zelle 92" noch heute die Leser.

Und sein letztes Gedicht, geschrieben in der Neujahrsnacht 1945 im Folterkeller der Gestapo, tröstet Menschen auf der ganzen Welt:

"Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag."

 

"In der Dankbarkeit gewinne ich das rechte Verhältnis zu meiner Vergangenheit. In ihr wird das Vergangene fruchtbar für die Gegenwart."

von Susanne Becker

Dankbar auf Situationen zu blicken, in denen ich gescheitert bin oder in denen ich ungerecht behandelt wurde, das finde ich ganz schön schwierig. Viel lieber hätte ich Genugtuung, eine Entschuldigung oder eine Wiedergutmachung. Meine eignen Fehltritte würde ich am liebsten ungeschehen machen, aus meiner Vergangenheit löschen. Dankbarkeit wird hier zum Glück nicht als Universallösung beschrieben. Sie ist kein Tintenkiller, kein Tafelschwamm, der meine Verletzungen oder mein schlechtes Gewissen einfach auslöscht. Dankbarkeit wird als ein Prozess beschrieben, durch den ich "das rechte Verhältnis zu meiner Vergangenheit" bekomme. Ich muss an den Katalysator eines Autos denken. So wie dieser die Abgase etwas weniger schädlich macht, kann Dankbarkeit auch meine schadhaften Erfahrungen verändern. Dankbarkeit weitet meinen Blick, sodass ich neben den Narben und dem schlechten Gewissen auch positive Entwicklungen wahrnehme. Ich darf erleben, dass Versöhnung auf beiden Seiten möglich ist. Ich kann um Verzeihung bitten und ich kann mich mit meinen negativen Erfahrungen aussöhnen. Dankbarkeit hilft mir dabei, das Beste aus meinen Erinnerungen mitzunehmen – und den Rest darf ich getrost bei Jesus lassen.

Susanne Becker arbeitet bei der Stiftung Marburger Medien als Gebietsleiterin für Sachsen-Anhalt und West-Brandenburg, als Projektkoordination bei KinderStärken e.V. und ehrenamtlich für den EC-Tangermünde. Auf gutetage.jimdofree.de setzt sie sich mit persönlichen Erfahrungen, biblischen Texten und Alltagsthemen auseinander.

 

"Vor dem Spiegel"

von Stefan Iserhot-Hanke

„Nicht der fernste Mensch ist uns das größte Geheimnis, sondern gerade der Nächste.“

Quelle: London 1933-1935, DBW, Band 13, Seite 360

„Wo zwei Menschen alles voneinander wissen, wird das Geheimnis ihrer Liebe zwischen ihnen unendlich groß. Das Wissen hebt das Geheimnis nicht auf, sondern vertieft es. Dass der Andere mir so nahe ist, das ist das größte Geheimnis.“

Quelle: London 1933-1935, DBW, Band 13, Seite 361

„Die Last des Andern tragen heißt, die geschöpfliche Wirklichkeit des Andern ertragen, sie bejahen und in ihrem Erleiden zur Freude an ihr durchdringen.“

Quelle: Gemeinsames Leben/Das Gebetbuch der Bibel, DBW, Band 5, Seite 86

Vor dem Spiegel

Mit wem habe ich es zu tun? Wen habe ich vor mir? Mit wem stehe ich in Beziehung? Schaue ich in einen Spiegel, wenn ich dich ansehe, erblicke ich mein vom Leben gezeichnetes Selbst? Oder schaue ich durch den Spiegel hindurch in eine tiefere Wahrheit? Was ist an dir, was mich immer neu überwältigt und die Sprache verlieren lässt? Weil ich in dir, meinem „Nächsten“, mir selbst oder einem Teil der Wirklichkeit Gottes begegne? Weil ich – in dem Bemühen, die Last deines Lebens mitzutragen –, auch einen winzigen Teil seines Gewichts auf mir spüre? Woraus nähren sich das verheißungsvolle Beben und die wispernden Irritationen, welche mich in deiner Gegenwart anwehen? Weil ich in dir, einem geliebten Geschöpf, dem Abglanz unseres Schöpfers begegne? Und was heißt eigentlich, seinen „Nächsten“, zu „kennen“? „Alles“ zu „wissen“ über sein Wesen? Wenn sich nur ein Atemhauch Gottes in uns inkarniert, wieviel Gebet, Meditation, Achtsamkeitskurse oder Psychoanalyse bräuchte ich, um so etwas wie endgültiges Verständnis und Gewissheit zu erlangen?

Bleibt der Prozess des Erkennens des „Anderen“ letztlich unabgeschlossen und geheimnisvoll? Haben wir es mit einer mysteriösen Asymmetrie zu tun? Einer Umkehrung des Erwartbaren? Verschwimmen in der Nahsicht durch die Makrolinse die Kontraste des Bildes, welches wir uns von Gott gemacht haben? Ähnlich wie beim „Scheinriesen“ in „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, den wir in der Ferne, als ein von uns getrenntes, unmenschlich dimensioniertes Wesen wahrnehmen. Bedrohlich zwar, fremd, fast außerirdisch, aber durch seine grotesken Konturen immerhin beschreibbar, eingrenzbar, kategorisierbar. Allerdings ein Wesen, das - beim Näherkommen - zu menschlichen Dimensionen schrumpft. Uns zu ähneln beginnt.

Ein Geschöpf, das mit uns verschwimmen, uns durchdringen will. Uns aus unserem wohlpräparierten Alltags-Gleichgewicht bringt durch seine berührende, auf die „Pelle rückende“ Nähe. Seine kompromisslose universelle Liebe. Und warum begeben wir uns, um Kontrolle und Übersicht zu behalten, so oft auf Distanz zur Quelle dieser Liebe, anstatt uns vertrauensvoll in ihr zu verlieren und fallen zu lassen in ihrem Geheimnis?

Fühlt es sich so an, das erhabene Erlebnis der Auflösung der Getrenntheit zwischen mir und meinem Nächsten? Der quälenden Getrenntheit von mir selbst? Der lustvolle Verlust von Übersicht und Kontrolle? Zwischen mir und dir und euch und allem? Gott? Eine Erfahrung, so intensiv und unmittelbar, dass ihre Energie mich und mein mühselig aufrechterhaltenes Selbstbild umwirft? Soll es überhaupt mein Ehrgeiz sein, zu begreifen, was sich menschlichen Koordinatensystemen entzieht? Ist das Mysterium der lebendigen Symbiose mit meinem „Nächsten“ –  was immer sich dahinter verbirgt –  so atemberaubend, dass ich es nicht zu fassen und „verarbeiten“ vermag? Mit meinem kleinen Geist, meiner begrenzten Fantasie, meinem einsamen sehnsuchtsvollen Herzen?

Stefan Iserhot-Hanke, 23. Dezember 2022

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