ist der stärkste Feind jeder Art von Vermassung
Wenn wir nicht den Mut haben, wieder ein echtes Gefühl
für menschliche Distanzen aufzurichten und darum persönlich
zu kämpfen, dann kommen wir in einer Anarchie
menschlicher Werte um. … Wenn man nicht mehr weiß, was
man sich und Anderen schuldig ist, wo das Gefühl für menschliche
Qualität und die Kraft, Distanz zu halten erlischt, dort ist
das Chaos vor der Tür. Wo man um materieller Bequemlichkeit
willen duldet, daß die Frechheit einem zu nahe tritt, dort hat
man sich bereits selbst aufgegeben, dort hat man die Flut des
Chaos an der Stelle des Dammes, an die man gestellt war,
durchbrechen lassen und sich schuldig gemacht am Ganzen.
In anderen Zeiten mag es die Sache des Christentums gewesen
sein, von der Gleichheit der Menschen Zeugnis zu geben; heute
wird gerade das Christentum für die Achtung menschlicher
Distanzen und menschlicher Qualität leidenschaftlich einzutreten
haben. Gesellschaftlich bedeutet das den Verzicht auf Positionen,
den Bruch mit allem Starkult, den freien Blick nach
oben und unten, Freude am verborgenen Leben wie den Mut
zum öffentlichen Leben. Kulturell bedeutet das Qualitätserlebnis,
die Rückkehr von der Hast zur Muße und Stille, von der
Zerstreuung zur Sammlung, von der Sensation zur Besinnung,
vom Virtuosenideal zur Kunst, vom Snobismus zur Bescheidenheit,
von der Maßlosigkeit zum Maß. Quantitäten machen einander
den Raum streitig, Qualitäten ergänzen einander.
Quelle:
Widerstand und Ergebung, DBW Band 8,
Seite 31ff