Vor Gott Mensch sein

In Jesus Christus glauben wir den menschgewordenen, gekreuzigten
und auferstandenen Gott. In der Menschwerdung
erkennen wir die Liebe Gottes zu seiner Kreatur, in der
Kreuzigung das Gericht Gottes über alles Fleisch, in der Auferstehung
den Willen Gottes zu einer neuen Welt. Nichts wäre
nun verkehrter als diese drei Stücke auseinanderzureißen; denn
in jedem von ihnen ist das Ganze enthalten. So unsachgemäß
es ist, eine Theologie der Menschwerdung, eine Theologie des
Kreuzes oder eine Theologie der Auferstehung gegeneinander
aufzurichten durch falsche Absolutsetzung eines dieser Teile, so
falsch ist dieses Vorgehen auch für das Denken über das christliche
Leben. Eine allein auf der Menschwerdung aufgebaute
christliche Ethik würde leicht zur Kompromißlösung führen,
eine allein auf Kreuz oder Auferstehung Jesu Christi aufgebaute
Ethik würde dem Radikalismus und der Schwärmerei verfallen.
Nur in der Einheit löst sich der Widerstreit. Jesus Christus, der
Mensch, das bedeutet, daß Gott in die geschaffene Wirklichkeit
eingeht, daß wir vor Gott Menschen sein dürfen und sollen.
… Jesus Christus, der Gekreuzigte, das bedeutet, daß Gott
der gefallenen Schöpfung ihr endgültiges Urteil spricht. …
Jesus Christus, der Auferstandene, das bedeutet, daß Gott aus
Liebe und Allmacht dem Tod ein Ende macht und eine neue
Schöpfung ins Leben ruft, neues Leben schenkt.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ethik
, DBW Band 6, Seite 148 ff

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