Die Dokumentation des göttlichen Willens

Die christliche Idee ist der Weg Gottes zu den Menschen
und als deren sichtbare Vergegenständlichung: das Kreuz.
Hier liegt der Punkt, an dem wir uns von der christlichen Sache
kopfschüttelnd abzuwenden pflegen. Das Kreuz sei erst von
Paulus in den Mittelpunkt der christlichen Botschaft gestellt
worden, Jesus habe davon nichts gesagt und doch ist die rechte
Deutung des Kreuzes Christi nichts als die schroffste Zuspitzung
des Gottesgedankens Jesu selbst, es ist gleichsam die geschichtlich
sichtbare Gestalt, die dieser Gottesgedanke angenommen
hat. Gott kommt zum Menschen, der nichts hat, als einen
Raum für Gott, – und dieser Hohlraum, diese Leere im Menschen
heißt in der christlichen Sprache: Glaube – d. h. in Jesus
von Nazareth, seinem Offenbarer neigt sich Gott dem Sünder
zu, Jesus sucht des Sünders Gemeinschaft, geht ihm nach in
grenzenloser Liebe, er will dort sein, wo der Mensch nichts
mehr ist; der Sinn des Lebens Jesu ist die Dokumentation dieses
göttlichen Willens zum Sünder, zum Unwerten. Wo Jesus ist, ist
die Liebe Gottes. … Jesus stirbt wirklich in der Verzweiflung an
seinem Werk, an Gott, aber gerade das bedeutet eben die Krönung
seiner Botschaft, das Gott die Menschen soweit liebt, daß
er mit ihnen, für sie als Dokumentation seines eigenen Liebeswillen
den Tod auf sich nimmt.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Barcelona, Berlin, Amerika 1928-1931
, DBW Band 10, Seite 319 f

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