Der gute Hirte

Jesus, der gute Hirte (Johannes 10, 11) – das hat mit allgemeinen
Hirtenidyllen und Schäferpoesie nichts zu tun. Alles
derartige verdirbt den Text. »Ich bin« – damit wird deutlich,
daß nicht von Hirten und ihrer Arbeit im allgemeinen die
Rede sein soll, sondern von Jesus Christus allein. Ich bin der
gute Hirte – nicht ein guter Hirte, so daß Jesus sich mit andern
guten Hirten vergliche und von ihnen lernte, was ein guter
Hirte sei. Was ein guter Hirte ist, das ist zu erfahren allein von
dem guten Hirten, neben dem es keinen andern gibt, von dem
»Ich« her, von Jesus her.
Alles übrige Hirtenamt in der Kirche Jesu Christi setzt nicht
neben den guten Hirten einen zweiten und dritten, sondern
läßt allein Jesus den guten Hirten der Gemeinde sein. Er ist
der »Erzhirte« (1 Petrus 5, 4), es ist sein Hirtenamt, an dem die
»Pastoren« teilnehmen, oder sie verderben das Amt und die
Herde. Daß es sich um den guten Hirten schlechthin handelt
und nicht um einen Hirten unter anderen, wird sofort an dem
ungewöhnlichen Tun deutlich, das dieser sich zuschreibt. Nicht
von Weiden, Tränken, Helfen wird gesprochen, sondern »der
gute Hirte (beachte wiederum die Artikel!) gibt sein Leben für
die Schafe«. Jesus aber nennt sich darum den guten Hirten,
weil er für seine Schafe stirbt.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937-1940
, DBW Band 15, Seite 560 f

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