Die Freiheit des Andern

Es ist zuerst die Freiheit des Andern, die dem Christen eine
Last ist. Sie geht gegen seine Selbstherrlichkeit und doch
muß er sie anerkennen. Er könnte sich dieser Last entledigen,
indem er den andern nicht freigäbe, sondern vergewaltigte, ihm
sein Bild aufprägte. Läßt er aber Gott sein Bild an ihm schaffen,
so läßt er ihm damit die Freiheit und trägt selbst die Last solcher
Freiheit des andern Geschöpfes. Zur Freiheit des Andern gehört
all das, was wir unter Wesen, Eigenart, Veranlagung verstehen,
gehören auch die Schwächen und Wunderlichkeiten, die unsere
Geduld so hart beanspruchen, gehört alles, was die Fülle der
Reibungen, Gegensätze und Zusammenstöße zwischen mir und
dem Andern hervorbringt. Die Last des Andern tragen heißt
hier, die geschöpfliche Wirklichkeit des Andern ertragen, sie
bejahen und in ihrem Erleiden zur Freude an ihr durchdringen.
Besonders schwer wird das, wo Starke und Schwache im Glauben
in einer Gemeinschaft verbunden sind. Der Schwache
richte nicht den Starken, der Starke verachte nicht den Schwachen.
Der Schwache hüte sich vor Hochmut, der Starke vor
Gleichgültigkeit. Keiner suche sein eigenes Recht, fällt der
Starke, so bewahre der Schwache sein Herz vor Schadenfreude,
fällt der Schwache, so helfe ihm der Starke freundlich wieder
auf. Einer braucht so viel Geduld wie der Andere.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Gemeinsames Leben/Das Gebetbuch der Bibel
, DBW Band 5, Seite 85 f

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