Wachsein

Nicht schlafen, sondern wach sein soll der Mensch. heißt nüchtern sein, nicht in Träumen und Wünschen
leben, sondern in der hellen Wirklichkeit. heißt den Tag und sein Werk lieben. Es heißt ohne Illusionen
sein, weil die Illusionen uns die Welt vergötzen und den Blick
auf den einen Gott, von dem man sich keine Götzen machen
soll, verschleiern und uns die Welt in den Farben unserer eigenen
Wünsche und Vorurteile sehen lassen. Wachsein heißt die
Welt sehen, wie sie vor Gott ist, ohne zu richten. heißt offen sein, bereit sein für die Zukunft, ihr ins Auge sehen
und sich nicht fürchten. Es heißt den hellen Tag Gottes sehen,
wie er ist; seine Schöpfung und sein Werk lieben, aber zugleich
die Leiden der Kreatur, die Not und die Hilflosigkeit des anderen
Menschen sehen, seinen Anspruch vernehmen, auch dort,
wo er unausgesprochen bleibt; und es heißt, um die ewige
Schuld wissen. Dies Wachsein kann sich der Mensch nicht
selbst geben. Sondern zu diesem Wachsein muß Gott den Menschen
rufen. … Lebe vor Gott als der, zu dem er dich gemacht
hat! Aber dies Wort »lebe« kann ja kein Befehl sein, sondern
es ist das Schöpferwort Gottes selbst.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ökumene, Universität, Pfarramt 1931-1932
, DBW Band 11, Seite 464 f

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