Wir sagen Religion sei Stimmungssache, man müsse warten
bis es einen überkäme; und dann warten wir und
warten oft Jahre lang, vielleicht bis zu unserem Lebensende, bis
wir wieder einmal Stimmung haben religiös zu sein. Dahinter
verbirgt sich eine große Täuschung. Gut, laßt die Religion
Stimmungssache sein, aber Gott ist doch nicht Stimmungssache,
ist doch wohl auch da, wenn wir keine Stimmung haben
mit ihm zusammen zu stoßen. Beunruhigt uns denn der Gedanke
gar nicht? Wer sich auf seine Stimmungen verlassen will
der verarmt. In der Religion gibt es, wie in der Kunst und Wissenschaft,
neben den Zeiten der Hochspannung Zeit der nüchternen
Arbeit und Übung. Der Verkehr mit Gott muß geübt
werden, sonst finden wir nicht den rechten Ton, das rechte
Wort, die rechte Sprache, wenn er uns überrascht. Wir müssen
die Sprache Gottes lernen, mühsam lernen, müssen arbeiten
daran, daß auch wir zu ihm reden können; auch das Gebet muß
geübt werden, in ernster Arbeit. Ein schwerer, verhängnisvoller
Irrtum ist es, wenn man Religion mit Gefühlsduselei verwechselt.
Religion ist Arbeit, und vielleicht die schwerste und gewiß
die heiligste Arbeit, die ein Mensch tun kann. Es ist jämmerlich,
sich zufrieden zu geben mit den Worten, ich bin nicht
religiös veranlagt, – wenn es doch einen Gott gibt, der uns
haben will.
Quelle:
Barcelona, Berlin, Amerika 1928-1931, DBW Band 10,
Seite 483f