Das Versagen der Vernünftigen und

das Scheitern der Fanatiker
Nicht Gerissenheit, Bescheid wissen über alle Schliche,
sondern allein schlichtes Stehen in der Wahrheit Gottes
und ein im Blick auf sie einfältig und klug gewordenes Auge
erfährt und erkennt die ethische Wirklichkeit. Erschütternd ist
das Versagen der Vernünftigen, die weder den Abgrund des
Bösen noch den Abgrund des Heiligen zu sehen vermögen, die
in beste Absicht mit etwas Vernunft das aus den Fugen gehende
Gebälk wieder zusammenbringen zu können glauben. In ihrem
mangelnden Sehvermögen wollen sie beiden Seiten Recht
widerfahren lassen, und werden so zwischen den aufeinanderprallenden
Gewalten zerrieben ohne das Geringste ausgerichtet
zu haben. … Erschütternder noch ist das Scheitern alles ethischen
Fanatismus. Mit der Reinheit seines Wollens und seines
Prinzips glaubt der Fanatiker der Macht des Bösen entgegentreten
zu können. Aber weil es zum Wesen des Fanatismus gehört,
daß er das Ganze des Bösen aus dem Auge verliert und wie der
Stier auf das rote Tuch statt auf dessen Träger zustößt muß er
schließlich ermüden und unterliegen. Der Fanatiker verfehlt
sein Ziel. Ob sein Fanatismus auch den hohen Gütern der
Wahrheit oder der Gerechtigkeit dient, so verfängt er sich
früher oder später im Unwesentlichen, Kleinen und geht dem
klügeren Gegner ins Netz.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ethik
, DBW Band 6, Seite 64 f

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