Freiheit und Einfalt allen Tuns

Jesus scheint vielfach garnicht zu verstehen, was die Menschen
ihn fragen, er scheint auf etwas ganz anderes zu
antworten als er gefragt wurde, er scheint an der Frage vorbeizusprechen
und spricht gerade so ganz auf den Fragenden hin.
Er spricht aus einer völligen Freiheit heraus, die auch nicht
an das Gesetz logischer Alternativen gebunden ist. Weil alle
Unterscheidungen, um die der Pharisäer sich gewissenhaft
bemüht, von Jesus über den Haufen geworden werden, … weil
Jesus allen klaren Fragen, die ihn festlegen wollen, ausweicht, –
darum ist er für den Pharisäer ein Nihilist, ein Mann, der nur
sein eigenes Gesetz kennt und achtet, ein Ichsager, ein Lästerer
Gottes. Andererseits kann niemand bei Jesus die Unsicherheit,
Ängstlichkeit dessen wahrnehmen, der aus Willkür handelt,
sondern seine Freiheit gibt ihm und den Seinen in ihrem Tun
etwas eigentümlich Gewisses, Fragloses, Strahlendes, Überwundenes
und Überwindendes. Die Freiheit Jesu ist nicht die willkürliche
Wahl einer von unzähligen Möglichkeiten, sondern
sie besteht gerade in der völligen Einfalt seines Tuns, für die es
niemals mehrere Möglichkeiten, Konflikte, Alternativen, sondern
immer nur Eines gibt. Dieses Eine nennt Jesus den Willen
Gottes. Er nennt es seine Speise, daß er diesen Willen tut
(Johannes 4, 34). Nicht aus dem Wissen um Gut und Böse, sondern
aus dem Willen Gottes lebt und handelt er.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ethik
, DBW Band 6, Seite 314 f

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