Keine Träne rinnt umsonst

Christus ist nicht in die Welt gekommen, daß wir ihn begriffen,
sondern daß wir uns an ihn klammern, daß wir uns
einfach von ihm hineinreißen lassen in das ungeheure Geschehen
der Auferstehung. Daß wir uns einfach sagen lassen, in seiner
ganzen Unbegreiflichkeit sagen lassen: Ihr seid gestorben –
und doch seid ihr auferstanden! Ihr seid im Dunkel – und doch
seid ihr im Licht. Ihr habt Angst – und doch könnt ihr euch
freuen. Haarscharf nebeneinander dies gänzlich Unvereinbare;
haarscharf nebeneinander, so wie eben die beiden Welten,
unsere Welt und die Welt Gottes, haarscharf nebeneinander
sind. …
Unser sichtbares Leben mit seinen Freuden und Erfolgen, mit
seinen Sorgen und seinem Kummer und seinem wehen Ungehorsam:
heilig und unsträflich und vollkommen steht es um
Jesu Christi willen in jener verborgenen Gotteswelt vor den
Augen des Allmächtigen, jetzt und morgen und in alle Ewigkeit.
Und keine Träne rinnt umsonst und kein Seufzen wird
überhört, kein Schmerz wird verachtet und kein Jubel ist
verloren. Die sichtbare Welt schreitet brutal und herzlos und
gewalttätig über all das hinweg. Aber aus Gnade und Barmherzigkeit
und großer Güte sammelt Gott unser brennendes,
glühendes Leben. … Verborgen ist unser wahres Leben – aber
es ist fest gegründet in Ewigkeit.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ökumene, Universität, Pfarramt 1931-1932
, DBW Band 11, Seite 452 f

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